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Many Roads Travelled // Selbstlaut Interview

Many Roads Travelled // Selbstlaut Interview

Selbstlaut Donaukanal Porträt Interview

Eigentlich wäre das Café Anno in der Wiener Josefstadt der erstlogische Ort, um sich mit Selbstlaut zu treffen. Ist der Rapper innerhalb der einst verrauchten Wände doch fast genauso selbstverständlich vorzufinden wie die Besitzer selbst, nicht selten auch hinter der Bar. Aus gegebenem Anlass haben wir uns dann doch für ein Treffen an der frischen Luft entschieden: am Donaukanal, mit Bier. Zwischen den vielen, die dasselbe tun und den wenigen, die den Kanal als Sportgelände nutzen, spricht Selbstlaut im Interview über seine neue EP „All Roads Less Travelled“, vielseitige musikalische Projekte, die alte Begeisterung für Schauspiel und Theater, die gefundene Liebe zu Indie-Rap und seine Tätigkeiten als Kulturschaffender. Außerdem spricht er vom geplanten Umzug nach Glasgow.

Interview: Francesca Herr & Simon Nowak

Du rappst ja seit Mitte der 00er-Jahre. Zu Beginn noch auf Deutsch oder gleich auf Englisch?
Ich bin mit Mirac in die Schule gegangen und habe mit ihm angefangen, Musik zu machen und Texte zu schreiben. Damals habe ich auf Deutsch geschrieben. Als die Crew, die ich mit Mirac gehabt habe (Schweigeverbot, Anm.) auseinander gegangen ist, bin ich auf Englisch geswitcht. Den Namen Selbstlaut habe ich vorher für mich entdeckt und beibehalten, was jetzt etwas eigenartig ist, wenn ich nur auf Englisch schreibe. Aber passt schon.

Aus einer bestimmten Motivation heraus, oder war es eine reine Gefühlsgeschichte?
Eigentlich eine reine Gefühlsgeschichte, weil ich englischsprachig aufgewachsen bin, immer schon mehr Sachen auf Englisch gehört habe und dadurch einen ganz anderen Zugang habe. Ich kann die Texte viel mehr nachvollziehen, als wenn ich es nur in der Schule gelernt hätte und auf Biegen und Brechen versucht hätte, Raptexte zu verstehen.

Selbstlaut Porträt Tschick

Kannst du definieren, wer dich international am meisten geprägt hat? Es war ja zum Beispiel schon öfters was von Eyedea zu lesen.
Eyedea war immer schon eines meiner größten Vorbilder. Mir fallen bis heute kaum Leute ein, die so dermaßen gut diese Art von Schreiben mit einer unfassbaren technischen Versiertheit kombinieren. Davon abgesehen, dass er ein sehr guter Rapper war, fand ich ihn als Literaten extrem spannend. Als Mensch sowieso. Ich bin immer noch angefressen, dass ich ihn nie getroffen habe. Ich habe mit Kristoff Krane und Sadistik je eine Nummer gemacht und als ich in Amerika gelebt habe bei einer Show in Minneapolis seine Mutter kennengelernt – aber ihn halt nicht (lacht).

„Ich zitiere gleichzeitig Prinzessin Leia und Chomksy“

Du bist generell sehr literaturaffin. Wie stark würdest du diesen Einfluss auf deine Tracks bezeichnen?
Sehr! Ich glaube mit drei Ausnahmen sind alle Albennamen von mir literarische Anspielungen. Ich mag es extrem, Anspielungen zu machen und Sachen zu zitieren, wo ich mir im Nachhinein aber auch denke, dass das eigentlich keinen Sinn macht. Um das nachzuvollziehen, was ich sage, müsste man eigentlich denselben Background haben, weil ich gleichzeitig Prinzessin Leia und Chomsky zitiere.

Wen zitierst du dabei am liebsten?
Nicht unbedingt einzelne Personen, aber ich bin vor allem durch mein Studium draufgekommen, dass ich begeistert von Kulturtheorie im weitesten Sinn bin. Dementsprechend viel Theorie, viele Aktivistinnen und Aktivisten. Manchmal eins zu eins, manchmal umgeschrieben, damit es in meine Tracks passt. Teilweise lasse ich die Leute auch als Sample in meinen Tracks sprechen.

Wenn du Sachen zitierst, suchst du aktiv danach oder ergibt sich das laufend?
Hin und wieder kriege ich zufällig was mit – zum Beispiel ein Zitat aus einer Serie, das ich verwenden kann. Aber bei ganz vielen Sachen suche ich aktiv danach. Bei der neuen EP habe ich nach Interviews mit Noam Chomsky, Naomi Klein und Angela Davis gesucht und mich gefragt, ob sich diese Menschen zur Coronakrise geäußert haben. Sie haben sogar genau die Sätze gebracht, die ich mir gewünscht habe.

Wie war das zum Beispiel beim Spoken-Word-Intro der neuen EP?
Das hat Henrik Szanto geschrieben. Bei der EP war mir voll wichtig, dass ich viele Leute drauf habe, mit denen ich zurzeit – oder schon länger – was mache. Mit Henrik habe ich sowieso etwas geplant, ich bin unfassbarer Fan von seiner Art zu schreiben.

Selbstlaut Interview Hands Donaukanal Wien

Was ist mit Henrik noch geplant?
Es geht vor allem darum, Texte von ihm musikalisch umzusetzen. Wie wir das genau angehen, steht aber noch bissl in den Sternen. Es ist ein eigenartiger Arbeitsprozess, den ich nicht so gewohnt bin. Wenn ich anderen Leuten Beats schicke, schreiben sie drauf und dann schauen wir, dass wir es soweit anpassen. In diesem Fall muss es fast umgekehrt sein. Es ist eine komplett andere Sache, Musik zu machen, die einen Text unterstreicht, der nicht zwingend so rhythmisch wie ein Raptext ist. Es muss spannend genug sein, damit man die Leute packt, aber gleichzeitig darf man nicht zu sehr Aufsehen erregen, weil es um den Text geht. Das ist bei Rap nur teilweise so – das Technische und wie man rappt, steht viel mehr im Vordergrund.

In welchem Zeitraum ist die EP entstanden?
Fünf, sechs Wochen. Die EP ist ungeplant entstanden, weil mir irgendwann vom ganzen Netflix schauen langweilig geworden ist. Ich kann daheim Beats machen, aufnehmen und abmischen. Irgendwann waren paar Nummern beieinander. Ich glaube es war für viele Leute, mit denen ich zusammengearbeitet habe, eine gute Beschäftigungstherapie. Oft ist gleich zurückkommen: ‚Passt, moch ma wos! Mir is eh fad.‘ Es geht mir auch darum, Leute vorzustellen, mit denen ich gerade zusammenarbeite, deshalb sind auch so viele Features drauf.

Was hast du mit den anderen Leuten noch vor?
Mit Henrik Szanto eben das Spoken-Word-Ding. Mit Elias Hirschl weirde Electronic-Sachen als Omniscient Insects (“Geräte EP“ feat. Eloquentron3000, Anm.), unter dem Namen Ein Gespenst haben wir eine Post-Punk-/New-Wave-EP gemacht, bei der ich die Drums mache, produziere und arrangiere, er spielt Gitarre und singt. Außerdem spiele ich mit ihm in der Punkband Heldenplatz. Mit Def Ill mache ich seit Jahren Musik, den kenne ich seit wir gemeinsam im Sandkasten gespielt haben, weil unsere Eltern sich schon aus der freien Szene in Linz gekannt haben. Wir haben die Crew Stick em Up Motherfucker. Der Name ist auch ein Zitat von jemandem aus der Black-Power-Bewegung.

Du bist als freier Übersetzer vor allem im Kunst- und Kulturbereich tätig, leitest zudem mit Wetterleuchten eine Indie-Rap-Eventreihe. Was hältst du von den neuen Bestimmungen der Regierung?
Ich bin schon bisschen angefressen, weil sie relativ konsequent das ignorieren, was ich kulturell mache. Als Veranstalter der Wetterleuchten-Reihe betrifft mich das überhaupt nicht. Wenn man sich vorstellt, dass ich Ende März Sa-Roc veranstaltet hätte, werde ich das sicher nicht vor Sitzpublikum machen.

Gibt es Pläne, dass die Ausgabe nachgeholt wird?
Jein. Wir müssen schauen, wie es sich weiterentwickelt. Die Tour ist glaube ich auf Herbst verschoben worden, da könnte es sich ausgehen.

„Ich habe zwei Jahre lang in Schauspielschulen vorgesprochen“

Du hast geplant, im Herbst nach Glasgow zu ziehen – nach zehn Jahren in Wien. Was treibt dich hin?
Ich habe vor drei, vier Jahren eine Show in Amsterdam gespielt und zufällig zwei Rapper aus Glasgow kennengelernt. Mit einem davon, Kid Robotik, bin ich seitdem intensiv in Kontakt, wir besuchen uns regelmäßig. Im November 2019 habe ich in Glasgow gespielt und viele Leute kennengelernt, ich fühle mich in der Stadt wohl und als Übersetzer ist es eh ziemlich wuascht, wo ich bin. Musikmäßig geht es dort voll ab, ich bin begeistert wieviel in der Stadt passiert.

Was sagst du zum schottischen Akzent?
Daran muss ich noch arbeiten. Mittlerweile geht es schon besser.

Selbstlaut Donaukanal Vienna

Wie leicht tust du dir damit, einen Dialekt anzunehmen? Deine Familie ist ja zum Teil aus den USA, du hast aber einen sehr britischen Akzent, wenn du sprichst.
Stimmt. Es liegt wohl daran, dass ich in Österreich aufgewachsen bin und meine Mutter sich immer dagegen gewehrt hat, einen Akzent anzunehmen. Ich bin ihr sehr dankbar dafür, weil sie in Südkalifornien aufgewachsen ist und ich diesen Akzent hasse. Aber ich war dem ja zum Glück nie dezidiert ausgesetzt. Mein Vater hat Englisch gelernt, weil er eine Premiere in Schottland gemacht hat. Dementsprechend war mein ganzes Vokabular ziemlich eigenartig vermischt. Ich habe zwei Jahre lang in Großbritannien in Schauspielschulen vorgesprochen – und dort legen sie halt sehr viel Wert auf Shakespeare.

Warum ausgerechnet dort?
Weil ich in den englischsprachigen Raum wollte. Ich habe mich viel mit Theater beschäftigt und irgendwann erkannt, dass ich den deutschen Regiestil nicht mag. Dieses Regietheater geht mir teilweise sehr auf die Nerven.

Was nervt dich konkret?
Im Endeffekt die Postdramatik. Ich stehe auf Theaterstücke, die auf eine schön strukturierte Geschichte mit einem Anfang und einem Schluss aufbauen. Es ist nicht so das Performance-Ding wie beim Regietheater. Ich tu mir schwer damit, weil das Theater für mich immer noch eine Rolle hat, dass es Geschichten erzählt. Ich finde es exklusiv, wenn die Geschichten darüber erzählt werden, dass man zum Beispiel eine gewisse Praktik immer wieder bis zur Lächerlichkeit übertreibt, wenn man selbst keinen Zugang hat. Die Postdramatik schließt Leute aus, die einfach nur eine Geschichte hören wollen. Da ist Theater dann schnell nur mehr für die, die es sich leisten können.

Inwieweit kannst du deine Ideale vom Theater mit deinen Idealen von Musik vergleichen?
Sehr viel Musik, die ich selbst höre, ist nicht sonderlich zugänglich. Ich schätze sie wegen technischer Versiertheit oder musikalischen Ideen, die ich sehr spannend finde und als progressiv einstufen würde. Aber das ist keine Musik, zu der du Party machst. Ich denke jetzt an Clipping., die finde ich grandios, aber nichts was sie jemals gemacht haben, würdest du jemals im Club auflegen können. Ich versuche das immer zu verbinden, die Elemente rauszunehmen, die ich spannend finde und dann zugänglicher umzusetzen. Inwiefern mir das jetzt gelingt sei dahingestellt, aber das ist mir ein Anliegen. Deshalb finde ich Leute wie Aesop Rock so spannend. Letztens habe ich einen Post von ihm zu „The Impossible Kid“ entdeckt. Darin beschreibt er Track für Track in ein bis zwei Zeilen, worum es geht. Und ja, „Kirby“ ist einfach eine dreiminütige Nummer über seine Katze.

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(c) Philip Pesic

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Muss man sich einfach intensiver mit der Musik auseinandersetzen, damit es Sinn macht, es anzuhören?
Ja, wobei wie gesagt, bei „Kirby“ ist es auch sofort klar. Wenn man das Stigma einer total experimentellen und progressiven Musik wegnimmt, weil es das auch nicht ist, ist es wirklich nur eine Nummer über seine Katze. Sachen, die als weird abgestempelt werden, sind es nicht unbedingt. Leute hören ja auch nicht immer nur total weirde Sachen. Kid Robotik ist auch großer Fan von Kanye West, wofür er sich immer wieder rechtfertigen muss – vor allem mir gegenüber! Als ich zu ihm meinte, er solle sich das neue Clipping.-Album anhören, sagt er: ‚Ja gleich, ich muss zuerst das neue Kanye West-Album hören‘. Wirklich, musst du das? Aber er ist auch großer JPEGMAFIA-Fan und auf den Geschmack bin ich jetzt auch gekommen. Teilweise richtig weird, aber JEPGMAFIA ist extrem cool. Das wäre eigentlich vom Sound her genau das, was es zugänglicher macht.

Absolut, gutes Beispiel. Was stört dich konkret an Kanye West?
Sehr viel. Ich verstehe den Punkt, wenn man seine Beats mag, ich persönlich habe die früher mehr gemocht. Aber ich finde, er hätte dabei bleiben sollen. Technisch gesehen ist er kein guter Rapper, inhaltlich teilweise unter aller Sau und abseits von der Musik halte ich ihn auch überhaupt nicht aus. Erst recht nicht hätte er beginnen sollen, sich politisch zu äußern oder weiße T-Shirts um hunderte Dollar zu verkaufen.

Du hast vorher übers Theater gesprochen. Wie steht es um die eigenen Schauspiel-Erfahrungen?
Früher habe ich sehr viel gespielt. Mittlerweile seltener, aber ich mache es noch total gerne.

Was hast du gespielt?
Eh hauptsächlich Theater. In meiner Schulzeit war ich sehr aktiv, danach viel studentisches Theater. Die letzten beiden Sachen waren Kurzfilme von Las Gafas aus Linz. Ich habe auch in Schauspielschulen in Großbritannien vorgesprochen, bei einer war ich von 3.600 Bewerber*innen unter den letzten 150. Ich kann es anscheinend wirklich ein wenig.

„Mir fehlt die Geduld für Musikvideos“

Obwohl du mit Videoproduzenten aus der Szene connected bist und Schauspiel-Erfahrungen hast, gibt es fast keine Musikvideos von dir. Warum?
Stimmt, schwer zu sagen. Was die Musik angeht, habe ich immer versucht, alles so gut es geht selbst zu machen – sobald ich ein Album fertig habe, ist der kreative Prozess für mich abgeschlossen und ich freue mich darüber. Dann habe ich keinen Nerv mehr dafür, mich groß mit dem Videoprozess zu befassen. So gern ich Musikvideos habe, habe ich auch einen großen Anspruch, mir fehlt da einfach die Geduld. Auch wenn ich sehr viele gute Filmemacher*innen kenne.

Würde sich bei der neuen EP nicht ein Video zu „Kin“ anbieten?
Das habe ich auch schon angedacht. Aber es gibt noch keine konkreten Pläne zur Umsetzung. Zeit hätten wir eh. Mir geht’s bei Musikvideos darum, nicht nur das Lied zu unterstreichen, sondern die Message der Nummer kinematografisch zu übertragen und sie weiterzudenken. Mich am Donaukanal vor ein Graffiti zu stellen und die Nummer zu rappen, ist zu wenig. Da muss mehr dahinter sein – nicht unbedingt was Aufwendiges, aber ein Konzept für das Video, das abseits der Nummer steht, braucht es schon. Und diese Umsetzung beansprucht viel Zeit.

Selbstlaut Donaukanal Porträt Interview

Du hast 2016 dein jüngstes Album veröffentlicht. Kurz darauf hast du angekündigt, an einem neuen zu arbeiten. Wie sieht es damit aus?
Mit Mirac habe ich 2016 „In Theory you can Hear Me“ gemacht, währenddessen habe ich schon am nächsten Album begonnen. Das ist bis auf paar Feinschliffe fertig. Eigentlich wollte ich es von meiner Seite im März abschließen, damit es übern Sommer fertig wird und wir die Promo starten, aber dann kam die derzeitige Situation dazwischen. Ich wollte es noch live in Österreich spielen, bevor ich nach Schottland ziehe. Das wird so nicht mehr funktionieren.

Was ist fürs Album geplant?
Es sind viele verschiedenen Produzenten drauf, der Bogen ist um einiges durchdachter als alles was ich bisher gemacht habe. Über Wetterleuchten und Wolkenvorhang habe ich viele Leute aus der Indie-Rap-Szene kennengelernt, es gibt viele Features – unter anderem Squalloscope oder Kid Robotik. Auch wenn die Beats, bis auf einen, von anderen stammen, war ich stark involviert und meist von Anfang an mit im Studio. Bei jeder Nummer steckt viel Überlegung dahinter, was wann, wo, wie und warum kommt. Deshalb arbeite ich seit fast fünf Jahren daran. Es startet politisch und entwickelt sich mehr und mehr zu einem sehr persönlichen Album.

Angefangen von einer Nummer über Polizeigewalt mit Ceschi bis hin zu einer in Gedanken an Huckey mit Def Ill und Andy The Doorbum. Ihm habe ich die Nummer gezeigt, als er beim ersten Wetterleuchten gespielt hat. Er hat eine Hook gemacht und genau das getroffen, was wir nicht konnten: Es ansatzweise objektiver zu sehen, aber aus der Perspektive eines Menschen, der diese Situation viel zu gut kennt. Jetzt ist es mehr eine generelle Nummer über die Schwierigkeit, mit dem Tod umzugehen als sie es geworden wäre, wenn nur Def und ich über Huckey geredet hätten – so sehr er auch im Vordergrund für uns steht.