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Austro Round-up // April 2022

Austro Round-up // April 2022

Griaß eich, Leidln, do is da F…ups, falsches Intro. Rewind! Während wöchentlich gefühlt 126 österreichische Single-Tracks erscheinen, gibt’s auch noch einige Musiker_innen, die sich die Hakkn machen, ganze EPs, Tapes oder Alben zu veröffentlichen. Unfassbar! Viele davon sind sogar ziemlich gut und das möchten wir hervorheben. Nach einer kleinen Sinnkrise Auszeit werden die monatlichen Austro Round-ups fortan ausschließlich Alben und Projekten ab drei Tracks behandeln. Eine Auswahl an Single-Tracks fügen wir regelmäßig der „Austro Round-up“-Playlist auf Spotify hinzu. Folgen lohnt sich also. Für ein noch umfassenderes Bild des florierenden Austrorap-Geschehens empfehlen wir, eh kloa, am Monatsersten einen Blick rüber zu WNMR.

Auch wenn The Message Ende April den ultimativen Ehrenbekundungsgürtel im jüngsten von Varit organisierten Austro-Rapquiz an die Urphat-Fam abtreten musste – verdienter Sieg, Shampoo! – wird an dieser Stelle fleißig weitergenerdet. Mit Kamp und prodbypengg haben wir bereits gesondert über ihre neuen Alben gesprochen, der April brachte auch darüber hinaus einige weitere spannende Releases aus diversen Ecken. Also Kopfhörer auf, Lautstärke rauf und gemma.

Vearz – Irrevearzibel

„Hurra, Hurra, da Vearz is‘ wieder do“ – mit „Irrevearzibel“ veröffentlichte er sein mittlerweile viertes Solo-Studioalbum. Selbstverständlich keine Nazar-Titelbiterei, der Titel ist eine logische Fortsetzung der Vorgänger-Wortspiele „Univearzum“, „Multivearzum“ und „Invearzion“. Der Mundartsprechgesangsartist aus der Wiener Vuastodt präsentiert sich auf Freshmaker-Beats technisch sattelfest, liefert bissige und meinungsstarke Lines – gewohntes Vearz-Programm also.

Gegen Schwarz-Weiß-Denken zu sein und vorherrschende Meinungen kritisch zu hinterfragen heißt noch lange nicht, im Querdenker- oder Schwurbler-Eck zu stehen. Genau diese ewigen Kategorisierungen und Vorverurteilungen sind Vearz ein Dorn im Auge, wie er in mehreren Tracks durchdringen lässt. Etwa auf „Unpopulehrbar“ oder „Burli“. Während Vearz in der Videosingle Kritik an gehäuft in der HipHop-Kultur vorkommenden Werten und Auswüchsen – Waffenglorifizierung, Geldgier, moralische Selbsterhöhung durch politische Textfetzen in noch so hedonistischen Nonsense-Tracks und so weiter – äußert, offenbaren sich umfassendere gesellschaftliche Problemfelder. „Sie schminken sie ois linke, scheiß auf links oder rechts, genau der Meinungsfaschismus war doch in Hitler sei Gschäft“ ist eine der Lines, die für viel Diskussionsstoff gesorgt hat. Vearz hat sich dazu ausführlich in einer Videoreaktion geäußert und sollte damit aufgekeimte Zweifel an einer vertretbaren Grundhaltung aus dem Weg geräumt haben.

Nach einigen In-die-Pappn-Tracks wird es in der zweiten Hälfte des Albums persönlicher. Auf „Bei dir“ und „Mit dir“ rappt Vearz über die Freuden des Familienlebens mit Frau und Tochter. Zu den Highlights zählt auch der Bonustrack „Bars meines Lebens“ auf Zentralbeathof-Beat. Eine detaillierte, gleichzeitig sehr pointierte Aufarbeitung der eigenen Lebensgeschichte. Am 21. Mai präsentiert Vearz die Tracks live in der Szene Wien – noch davor erscheint auf The Message ein Interview mit ihm.

Brown-Eyes White Boy – Graue Bündel

„Graue Tage“, „Bunte Tage“, „Bunte Bündel“ – Brown-Eyes White Boy ist eine Vorliebe für Farbbeschreibungen in Titeln nicht abzusprechen. Mit „Graue Bündel“ veröffentlichte er bereits die vierte Ausgabe dieser erst 2021 gestarteten Reihe. Die hohe Releasedichte untermauert, dass der mittlerweile in Wien lebende Salzburger nicht nur einer der talentiertesten Rapper der jungen Generation ist – obwohl er eh schon viele Jahre dabei ist –, sondern auch einer der aktivsten. Zuletzt oft von prodbypengg produziert, berappt Brown-Eyes White Boy am neuen Mini-Album gewohnt stilsicher Beats von food for thought.

Die Tracks fallen kurzweilig aus – nicht nur, weil kein einziger die Zwei-Minuten-Grenze überschreitet. Hatte der Vorgänger „Bunte Bündel“ viel klassisches, oberflächliches Rap-Geflexe zu bieten, fallen die neuen Tracks teils introspektiver aus. Was mit Gitarrenklängen, Gesang und der Vorabsingle „Zaza Man“ noch versöhnlich startet, wird im weiteren Verlauf düsterer und melancholischer. Keine Überraschung, denn bei Heatvienna hat Brown-Eyes White Boy jüngst „Graue Bündel“ mit einem Albtraum, der seinen Lauf nimmt, verglichen. Mehr zum Album und seinem Schaffen generell erzählt Brown-Eyes White Boy im Interview, das im Mai auf The Message erscheint.

Ruffian Rugged – Let Them Eat Brioche

„S’ils n’ont pas de pain, qu’ils mangent de la brioche!“– ein Zitat, das aus dem 18. Jahrhundert stammen soll und Marie Antoinette von Österreich-Lothringen in den Mund gelegt wird. Ob es wirklich von ihr ist oder nicht? Völlig blunzen, um bei der Fresssprache zu bleiben. Die Botschaft ist klar: Wer kein Brot hat, soll halt Kuchen essen. Governor General Ruffian Rugged hat für sein zweites Studioalbum die eingeenglischte Variante gewählt. Passend zur Alter-Ego-Rapsprache des Linzers.

15 größtenteils selbst produzierte Tracks, deren Einflüsse über Grime, Dancehall und Reggae hinausgehen, treffen auf den Signature-Stakkatoflow und entspannteren Raps, teils mit Vocoder-Effekten unterlegt. Ruffian Rugged rappt gewohnt klare Worte, zwischen politisch geprägten, persönlichen Lines und Geflexe im „Bad Man Style“. Erschienen übers französische Label Brigante Records, liefert der Austro-Patwa-Governor ein gewohnt eindrucksvolles Programm. Unterstützung liefert neben lokalen Compañeros und Compañeras wie Kinetical („Elements“ und „Crossroads“ zählen zu den deepsten Tracks des Albums), Miss BunPun und Inana etwa auch SPLXT, der Hochgeschwindigkeitsrapkollege aus Florida. Außerdem vertreten ist Damé – weg mit den Popcorn, es handelt sich um die Brigante-Labelkollegin und nicht den Dame aus Österreich.

Wandl, Döll & Torky Tork – Nackt

Ein Rap-Release über Onlyfans? Ja, warum eigentlich nicht? Die mit Content von (hoffentlich durchwegs) 18+-Nackerpatzln überflutete Plattform macht bei einem so betitelten Album und altersbeschränkten YouTube-Videos – siehe unten (nicht) – durchaus Sinn. Nach dem zunächst exklusiven „0,01% of Deutschrap“-OF-Release im März ist das Kollaboprojekt von Wandl, Döll und Torky Tork mittlerweile auch für weniger Pay-per-listen-affine Zeitgenoss_innen dies- und jenseits der Volljährigkeitsgrenze zugänglich. Gut so, denn das Wien-Darmstadt-Berlin-Trio sorgt für eine spannende musikalische Liaison. Ästhetische Klänge von Torky Tork/Wandl/S.Fidelity treffen auf sinnliches Gsangl von Wandl und berührende Raps von Döll. Das einzige Feature kommt von Torkys T9-Partner doZ9.

Nackt sind auch die Texte – einige der acht Tracks sind ein Seelenstriptease erster Güte. „Ein Album, bei dem es ums Hinfallen, Sucht, Verstecken und Entblößen und um Rapshit geht“, so die treffenden Worte von Wandl. Schon im Introtrack thematisiert Döll Erfahrungen mit Spiel- und Substanzsüchten, die damit einhergehende Schuldenfalle, Rückfälle, Depressionen und die Mühen des brotlosen Lebens für Rap. So deep wie auf den ersten Tracks des Mini-Albums wird es in einigen Rapkarrieren nicht ansatzweise. Aber egal, die sind eh kein Maßstab. Auch Wandls Zeilen berühren – etwa wenn er auf „Fall“ den Kampf gegen die immer wiederkehrende Depression teilt. In weiterer Folge offenbaren sich auch etwas zuversichtlichere Momente.

Kerosin95 – Trans Agenda Dynastie

Kerosin95 deppat kommen? Keine gute Idee. Das ist nicht zuletzt dank des Debütalbums „Volume 1“ klar. Mit der kürzlich erschienenen EP „Trans Agenda Dynastie“ schaltet Kerosin95 keinen Gang zurück, was nicht nur die eindringliche Stimmlage untermauert. Kerosin fletscht die Zähne, die Rap- und Pop-Persona hat Hunger. Die Punches richten sich etwa gegen TERFS. Wos? Kein verschlafener Ort im Tiroler Alpenpanorama, sondern das Gfret um den „Trans-ausschließenden radikalen Feminismus“. Klar könnten wir das nächste Mode-Aversionswort, das in superwoken Twitter-Bubbles zirkuliert belächeln, aber es steckt bisschen mehr dahinter. Eigentlich soll es aber weniger gegen, sondern für etwas gehen: Sichtbarkeit für trans*-Existenzen. Keine Agenda, sondern eine ganz normale Lebensrealität. Dafür steht Kerosin95 in gewohnter Manier ein – bumm zack, Queer-Feminismus in die Goschn.

Über den Titeltrack hinaus streckt Kerosin95 etwa auf dem Party-Track „Bullshit Bingo 1.0“ den lyrischen Mittelfinger gegen übergriffige CIS-Herrschaften aus. Aber die EP ist vielseitiger, geht übers Brachiale hinaus. Auf „4ever“ mit Nenda-Feature zeigt sich Kerosin95 von einer sinnlicheren Seite. Der Abschlusstrack „Standort“ sorgt für positive Feierstimmung. Eine willkommene Abwechslung. Produziert wurde die EP von mnphb, auch bekannt als Monophobe. Die Tracks gibt es demnächst auch live auf der „Trans Agenda Dynastie“-Tour zu hören – nach dem Start am 6. Mai in Innsbruck ist etwa auch eine Show am 22. Mai im Wiener WUK geplant.

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SanTra – Tausendfüßer

Mit „Tausendfüßer“ veröffentlichte SanTra Anfang April ihr Debütalbum. SanTra und die Tiermetaphern – war da nicht was? Richtig, Shoutout an die Hirnrinde! 2021 veröffentlichte die auch als Sängerin aktive Innsbrucker Rapperin mit der Crossover-Band F63.8 die EP „Viecher“ mit klingenden Titeln wie „Mistkäfer“ oder „Normale Pumas“. Der Titel ihres ersten Soloprojekts, an dem sie rund vier Jahre gearbeitet hat, knüpft nahtlos daran an, vom Sound her geht es als naturgemäß in eine andere Richtung. Testa hat einen – erwartungsgemäß – pipifeinen, modernen Beatteppich geschaffen.

Die Titel der neun Tracks lassen den Zugang der Tirolerin vermuten: die Texte sind poetisch geprägt. SanTra setzt viel auf Metaphern und Wortspielereien, während sie meist mit sanfter Stimme rappt und singt – meist in nachdenklicher Manier über naheliegende Themen aus dem eigenen Leben. Sie lässt in den Lyrics private und allgemeingültige bis gesellschaftskritische Elemente oft verfließen. Aber nicht ausschließlich, als „Auskotz-Track“ sticht etwa „Sagen“ besonders raus. Ein gelungenes Album zum Versinken in Gedanken.

Pan Kee-Bois – Denke kurz nach aber nicht lang

CAPSLOCK und ein Titel, der Wandtattoo-Assoziationen weckt – die Pan Kee-Bois sind back. Na gut, schluss jetzt mit der unnötigen Sarkasmusdampfwalze. Die fünfköpfige Trap-Boyband aus Purkersdorf/Wien knüpft mit „Denke kurz nach aber nicht lang“ an das 2021 erschienene Album „Reset“ an. Es dürfte bei den Pan Kee-Bois durchaus laufen, sie sind nicht nur Stammgäste in lukrativen Spotify-Rap-Playlists, sondern haben sich in den vergangenen Jahren auch eine treue Fanbase erarbeitet. Mit einigen davon haben sie das EP-Release am 29. April im Ganz Wien bereits gebührend gefeiert.

Mit feinen Produktionen von Bandmember srsly sowie mo.nomad ausgestattet, liefern die Bois auf den sieben neuen Tracks – wie der Titel andeutet – mehr als geballten Hedonismus, sie schlagen durchaus melancholische Töne an. In kleinen Häppchen, aber doch. Kurz nachdenken und nicht lange eben, wie es der Titel verspricht. Gewohnt eingängig gestaltet, ist den neuen Tracks das Hitpotenzial schwer abzusprechen. Da wurde auch das Repetoire für die sommerlichen Liveshows gehörig aufgefettet.

Smooth Monkey – Soul Traffic

Gut ein Jahr ist es her, dass Smooth Monkey mit „Tuesday“ erstmals in Erscheinung getreten sind. Seither hat die Band mit einigen Singles und Liveshows einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Der Sound ist funky, die Frontmänner Amor und 8ppl sind charismatisch und stimmlich stark, ihre teils gesungenen, teils eingerappten englischen Texte unbeschwert. Bei Sessions im Wiener Tiaan Sound Studio leben die beiden ihre Kreativität aus, werkeln mit diversen Musikerkolleg_innen an Tracks, die für sich stehen und viel positive Energie verbreiten.

Im April haben Smooth Monkey mit „Soul Traffic“ ihre erste EP veröffentlicht. Nach der Videosingle „Catching Soul“, einer schönen Liebeshymne mit Gesangsfeature von laura, stimmt das sommerlich groovende „Give Me The Rhythm“ auf die anstehenden Monate und die unter freiem Himmel genossene Zeit ein. Am Ende rundet eine – und das ist nicht negativ gemeint – radiotaugliche Feel-Good-Hymne ab. Etwaige Probleme und Grübeleien zur Seite schieben und das Feiern, was man hat, ist das Motto von „Proud of“ mit Rania. Die Mundwinkel zeigen wieder nach oben. A bissl hoit – grazie mille.