Now Reading
„Ich könnte in keine Partei eintreten“ // Sookee Interview

„Ich könnte in keine Partei eintreten“ // Sookee Interview

Sookee in ihrem Lieblingsshirt: Vier Matrjoschkas verkörpern die vier Elemente von HipHop

Auf dem Weg ins Backstage der Grelle Forelle, vorab die Information: Sookee kämpft mit ihrer Stimme. Es wird ein leises Interview werden, das darauffolgende Konzert zu ihrem aktuellen Album „Mortem & Makeup“ heiser, aber gut (Review). Am Vorabend in Dresden sei ihr die Stimme weggebrochen. Sookee trinkt den ganzen Tag schon Ingwertee und kaut Myrrhe, um zu retten, was geht. Nichtsdestotrotz ist die Berlinerin sehr gut gelaunt, redselig und versucht, in eine Antwort so viele Gedanken wie nur möglich zu packen. Leise und bedacht spricht die selbst ernannte „Quing of Berlin“ über feministische Sichtweisen, Kritik an ihrer Musik, warum sie in nächster Zeit keine Partei gründet und Politrap einen Platz braucht.

Interview: Julia Gschmeidler & Francesca Herr
Fotos: Alexander Gotter

The Message: Du hast mal in einem Interview von einer Lebensperspektive durch die „feministische-Brille“ gesprochen. Wie sieht die Welt aus, wenn man durch diese durchsieht? Wodurch charakterisiert sich diese?
Sookee:
Es sind eigentlich zwei Brillen. Einmal eine für die Realität und eine utopische Brille, im Prinzip wie zwei Seiten einer Medaille. Es geht darum, dass es erstrebenswert ist, wenn Menschen gleichwertig leben und gleich behandelt werden. Dass es flache Hierarchien gibt, dass Menschen nicht über andere Menschen herrschen. Das kann sich in ganz vielen strukturellen Punkten zeigen, Geschlecht ist darin eine sehr große Kategorie. Aber auch alle möglichen Fragen rund um ethnische Herkunft, Bildungsbiografie, ökonomische Ressourcen, Status, physische und geistige Gesundheit, Religion, sexuelle Identität usw. Das sind alles Aspekte, die jede Identität in sich versammeln. Meine feministische Brille wünscht sich, dass es entlang und innerhalb dieser Kategorien keine Hierarchien gibt.

Wie würde so ein Modell aussehen?
Ganz einfach: Es geht um Menschenrechte. Und der Feminismus hat in den letzten Jahrzehnten, gerade im deutschsprachigen Raum, immer wieder so ,Pfui-Momente‘ gehabt, wo man sich davon abgrenzen musste, weil das als hysterisch, zu laut und zu fordernd empfunden wurde. Aber ich finde, das ist eine ganz vernünftige Forderung, zu sagen, Menschen sollen gleichwertig sein, sich gleichwertig fühlen und gleichwertig behandelt werden. Klar, dass es hier auch um Verteilungs- und Ressourcenfragen, Fragen von Kompetenz, auch Fragen von Schönheit oder Fragen von Zugängen geht. Wer kann sich woran beteiligen? Wenn man überlegt, dass vor einem Jahrhundert Frauen als intellektuell unfähig für akademische Forschungen betrachtet wurden, weil man dachte, dass ihre Gehirne damit nicht klarkommen – da lachen wir doch heute drüber! Deswegen ist da auch noch einiges zu tun in Kompetenzfragen, wo Frauen prinzipiell ausgeklammert werden. Obwohl eigentlich klar ist, dass das nicht geht.

Kannst du ein Beispiel dafür nennen?
Es gibt diese schöne Geschichte, von der Frau, die das erste Buch über Mansplaining geschrieben hat. (Rebecca Solnit, Anm.) Die hat auf einer Party einen Typen getroffen und der meinte: ,Ich hab dieses Buch gelesen und ich erklär dir jetzt, was da so erzählt wird‘. Und der erzählt ihr dann über ihr eigenes – ureigenes – Thema, worüber sie dieses Buch geschrieben hat. Sie ist so daran gewöhnt, dass Männer ihr die Welt erklären, dass sie nicht peilt, dass es gerade um ihr eigenes Buch geht. Einfach weil er hinkommt und sagt: ,Schätzchen, pass mal auf hier, damals 1703, jetzt sag ich dir mal wie das war.‘ Die Welt ist voll von solchen Situationen – und meine Brille sieht das am laufenden Band. Ich merk das auch noch selbst bei mir, wenn ich überrascht bin, dass diese blond Frau mit den falschen Wimpern und den langen Nägeln nicht Arzthelferin ist, sondern grad den Doktor in Biochemie macht. Aber ich liebe es, mich dann daran zu erinnern, dass ich auch noch nicht durch bin, mit dieser Erkenntnis, aber das unbedingt will. Sei Arzthelferin oder mach den Doktor in Biochemie, egal, Hauptsache, du bist ein glücklicher Mensch. Aber das sind alles so prozessuale Wege, um die es mir geht.

Es wird gerade der Film „Embrace“ von der Australierin Taryn Brumfitt diskutiert, in dem sie  mit den gängigen Schönheitsidealen abrechnet. Vor Kurzem ist die Kritik aufgekommen, dass die Darstellung zu plump sei, um das so zu thematisieren. Hast du dich damit beschäftigt?
Ich hab die Kritik noch nicht mitbekommen, aber es war klar, dass es irgendwas geben würde. Vor allem in linken und feministischen Debatten ist das immer wieder Thema. Ich hab jetzt auch nur den Trailer gesehen, aber hab mir da schon gedacht, dass alles sehr glossy und auf eine Weise auch künstlich wirkt. Ähnlich, wenn Dove ein Kampagne mit dicken Frauen macht und dann sagt: ,Alle Körper sind schön.‘ Aber die dicken Frauen sind dann auch noch verhältnismäßig zur Norm, sind schön proportioniert und haben keine kleinen Brüste und einen riesigen Arsch, sondern große Brüste, Taille und einen riesigen Arsch. Und dazu haben sie dann noch total schöne Gesichter. Ich kann mir vorstellen, dass die Kritik in diese Richtung geht, aber ich muss sagen, ich finde dieses Thema grundsätzlich so dringlich, dass ich da einfach fehlerfreundlicher bin und keinen Bock hab, auf so einen Perfektionismus. Dieser Film ist besser, als kein Film. Ich werde selbst auch oft für meine Sachen kritisiert, dass ich mehrere Dinge nicht berücksichtigt hätte oder noch mehr Perspektiven hätte miteinbringen können. Oder andere wiederum sagen: ,Du formulierst das zu schwierig, das ist total ausschließend, man versteht nicht, was du meinst, weil alles zu akademisch eingefärbt ist.‘ Aber wenn du Material produziert, sei es ein Blog, ein Film oder wenn du eben einen Song schreibst, du zementiert damit irgendwas. Und du kannst dann später zwar nochmal daran arbeiten, wenn du das willst, Sachen revidieren oder umschreiben, aber es ist erstmal da und Leute reagieren darauf. Ich finde es eigentlich schön, wenn es so sehr die Runde macht, dass auch Leute, die sich noch nicht mit dem Thema auskennen, sagen, was man noch besser oder anders hätte machen können.

Du hast dir ja die Kritik von Noisey damals, dass deine Texte wie eine Vorlesung aus einem Soziologie-Grundstudium wirken, auch zu Herzen genommen, oder?
Ja voll, klar!

Und dich dann auch irgendwie verändert?
Ja, natürlich war ich lange Zeit angefressen, wenn ständig irgendwer zu mir sagt: ,Ah du mit dei’m Schlau-schlau. Versteht eh keiner, verpiss dich.‘ Ich hab mir gedacht, das ist so meine Sprache, ich will das jetzt so machen, ihr werdet mir nicht erklären, wie ich meinen Job zu tun hab. Aber irgendwann bin ich an dem Punkt angelangt und hab mir gedacht: ,Okay, ich habe mich lang genug dagegen gewehrt. Jetzt kommt die fünfte Platte, versuch’s doch einfach mal anders. Vielleicht ist es ja doch gar nicht so verkehrt?‘ Ich hab ja auch überhaupt kein Problem damit, mir meine Fehler einzugestehen, so geht nun mal Entwicklung. Da darf man nicht eitel sein, das hilft einfach nichts. Ich könnt jetzt auch noch zehn ,Schlau-schlau-Alben‘ machen, aber dann hätt ich halt zwei Drittel der Interviews, die ich gerade führen darf, nicht. Dann hätt ich mein Word nicht so sehr gespreadet.

Also würdest du sagen, dass es der richtige Weg war, der erfolgreichere?
Es war die richtige Entwicklung. Weil da stellt sich sonst die Frage, woran kann man Erfolg messen? Aber es war richtig, die ersten vier Alben so gemacht zu haben und es war richtig, dieses Album jetzt so zu machen. Falsch wäre es gewesen, zu sagen, ich verkauf mich jetzt an ein Riesen-Label und lass‘ mir eine Platte ghostwriten. Das wäre falsch. Aber solange das noch von mir kommt und ich darin abbilde, wo ich gerade stehe, ist alles fein. Und wenn ich dann danach anfange, Kinderlieder zu machen, ist das auch okay, wenn ich das will. Das ist einfach Selbstbestimmung – ein feministisches Grundprinzip für mich. Deswegen, würd ich auch gern mal auf die Person treffen, die das damals geschrieben hat. Das Problem war die Formulierung. Erstens wird gesagt, mein Rap klingt wie ein Soziologie-Grundstudium – da war ich schon angefressen, weil es nur ein Grundstudium war – und andererseits, weil er sagt, dass ich mir damit selbst im Weg stehe. Natürlich, für den Erfolg stehe ich mir da irgendwie im Weg, aber das sind auch strukturelle Fragen, die darin zutage kommen. Das ist für mich so struktur-unsensibel, dass ich an der Stelle nicht mitgegangen bin und mich nicht ausschließlich über den Artikel gefreut hab. Aber ich hab das trotzdem voll mitgenommen, die Leute haben auch oft genug darüber geredet. Meine Credits hab ich an der Stelle offenbar gegeben.

Geht’s dir eigentlich manchmal auf die Nerven, so viel über das Thema zu sprechen? Und dass es manchmal auch vor deine Musik steht?
Nein, also das ist ja Teil meiner Musik. Ich gehedavon aus, dass wenn ihr mit mir sprechen wollt, ihr auch meine Platte gehört habt. Und ich sehe auch, dass die Show heute Abend ausverkauft ist, also ist es schon okay. Ich betrachte mich auch als politische Aktivistin und dann ist es einfach halb-halb. Ich frag mich eher, ob es andere nervt, wenn immer diese Frage kommt. Aber das liegt ja auch in eurer Hand als Journalistinnen, diese Fragen zu stellen oder eben nicht. Ihr könnt genauso darüber entscheiden, ob an dem Bild weitergestrickt wird, oder ob wir ausschließlich über Beatauswahl oder Produktionssoftwares sprechen.

„Wollen wir geschlechterseparierte WCs für alle?“

Wir hatten auf unserer Seite letztens einen Gastkommentar von Yasmo und sie meinte, sie wolle in Interviews nicht mehr über Sexismus sprechen oder darüber, wie es ist, als Frau in der Rapszene aktiv zu sein. Weil einen Mann frage man ja auch nicht, wie es ist als Mann im Rap. Sie will einfach über Musik sprechen und über nichts anderes.
Genau, das verstehe ich total. Wir kennen uns auch, alles fein, sind auch schon öfter zusammen aufgetreten – gute Frau, die Yasmo! Ich habe gerade auch einen Beitrag für das Geschlechterdemokratische Institut der Heinrich-Böll-Stiftung geschrieben, das ist eine Online-Kampagne, „Feministische Zwischenrufe“, und ich habe da beschrieben, dass ich ganz oft nicht mehr darüber spreche. Viele fragen mich nach konkreten Songs. Unter 60 Interviews werde ich mittlerweile vielleicht maximal zehnmal gefragt, wie es sei, als Frau im Rap und 50-mal nicht mehr. Das find ich schon eine geile Entwicklung. Aber ich finde es nicht verkehrt, diese Metaebene nochmal einzunehmen und zu fragen, warum hat sich das jetzt geändert. Für mich wäre es richtiger, dass auch Männer darauf angesprochen werden, aber besser wär es natürlich, wenn niemand mehr darauf angesprochen werden würde. Das ist ein bisschen die Frage, wollen wir geschlechterseparierte WCs für alle? Oder wollen wir ein WC zum Sitzen, eines zum Stehen und alle Leute verhalten sich einfach anständig. Und wie kommen wir da hin? Ich finde es okay, wenn danach gefragt wird, weil ich auch weiß, es gibt noch genug Menschen, die das interessiert. Außerdem kann ich ja immer noch sagen, ich find deine Frage Scheiße. Das mach ich manchmal auch, aber ich nehme schon das Interesse der Leute, die sich die Zeit nehmen, mit mir zu sprechen, ernst. Und dann werde ich die Frage auch beantworten. Aber in Rückgriff, auf Yasmos Kommentar, binde ich dann andere Sichtweisen mit ein. Dennoch, meine Songs sind einfach feministisch und da werd ich dann eben dazu befragt. Wenn ich Songs mache, wie „Who Cares“ oder „Hurensohn“, das sind feministische Debattenklassiker, da geht es um Sexarbeit und Hausarbeit.

Dadurch, dass dein aktuelles Album so viele Themen aufgreift, könnte man vermutlich mehrere Stunden darüber sprechen.
Ja aber ich werd auch momentan voll viel zum Rechtsruck befragt. Also 50 der 60 Interviews, wollten mit mir darüber sprechen, was wir mit FPÖ, AfD machen und wie wir aus der Nummer wieder rauskommen. Und wie man sich überhaupt noch verhalten kann. Auch die Psychiatriekritik. Zum Gesundheits- und Familienthema wurde ich viel gefragt. Also ich fühle mich tatsächlich gerade nicht darauf reduziert, fühlte ich mich aber auch vorher nicht. Natürlich wünscht man sich manchmal ein bisschen Kreativität seitens des journalistischen Gegenübers. Aber hier werde ich anderen Leuten nicht ihren Job erklären.

„Rap sollte die Skandalisierung von Sexismus draufhaben“

Denkst du, es gibt Themen, die Rap nicht ansprechen darf, oder hat Rap alle Freiheiten und darf machen, was er will?
Jede Kunst hat jede Freiheit, alles Mögliche anzusprechen. Die Frage ist, ob sie sich gegebenenfalls für irgendetwas verantworten muss. Nutzen wir etwas als Stilmittel oder thematisieren wir etwas? Wenn ich Sexismus thematisiere, ist es was anderes, als wenn ich Sexismus als Stilmittel verwende. In beiden Fällen taucht irgendwie Sexismus auf, aber von unterschiedlichen Perspektiven. Die Skandalisierung von Sexismus sollte Rap immer irgendwie draufhaben. Sich stilistisch sexistisch zu verhalten, finde ich einfach kacke und das werde ich auch sagen, dass ich es so finde und werde mich an die entsprechende Szene, den entsprechenden Künstler, Protagonisten wenden und fragen: ,Warum machst du das? Warum brauchst du das? Was an dir ist so gering, dass es dir nötig erscheint?‘ Und da bekomm ich Antworten oder nicht und manchmal muss ich auch über die Leute sprechen, wenn sich nicht mit mir sprechen wollen. Es gab zum Beispiel auch eine Interviewanfrage, gemeinsam mit SXTN, die wollten nicht mit mir reden.

Warum wollten sie das nicht?
Musst du SXTN fragen. Das war von einer deutschen Zeitung, zwar nicht die Zeit aber auch keine Bild, also es war schon ein machbares Format. Wer sich ein bisschen bei mir reinrecherchiert, weiß, es geht nicht um Gewinnen oder Verlieren. Oder dass ich bei einer Debatte am Ende besser dastehe, sondern darum zu wissen, was los ist. Es geht um Verständnis und nicht darum, als strahlende Siegerin aus einem Argumentationsbattle hervorzugehen. Mir ist schon klar, dass ich sechs Jahre Gender Studies studiert habe und die beiden nicht. Das muss ich denen aber nicht aufs Brot schmieren. Ich respektiere die zwei dafür, dass sie als Frauen, wie sie sind, in diesem Game ihr Ding machen und ich will peilen, wie das bei ihnen funktioniert. Ich wurde in den letzten Wochen und Monaten viel auf die angesprochen. Früher wars immer Lady Bitch Ray, heute werde ich auf SXTN angesprochen. Aber ich würde viel lieber auf Yasmo angesprochen werden. Aber es gab auch andere Debatten mit allen möglichen Rappern, privat aber auch öffentlich. Ich war mit MC Bogy bei ,TV Strassensound‘. War natürlich echt ’ne Erfahrung. Aber das war irgendwie gut. Nur viel zu lange, niemand wird sich das ansehen, es geht über eine Stunde und Bogy hat einen Redeanteil von 70 Prozent, einfach weil er nicht anders kann. Aber er ist echt ein netter Dude, er ist nur umgeben von echt krassen Arschlöchern und ich glaube, er ist selbst vielleicht auch irgendwie ein Arschloch, aber er war einfach voll nett. Ein angenehmes Gegenüber. Diese Dialoge, die muss man mir zutrauen, die kann ich führen. Ich rede auch mit jedem, solange ich nicht mit einem offenen Nazi diskutieren muss und er mich nur vereinnahmt, oder vorführen will.

Hast du schon einmal eine Diskussion mit einem Rapper geführt, der sich im Rechtsrap verorten würde?
Ähm, ne. Die kommen aber auch nicht zu so Debatten, die halten sich fern von allem. Es gab nur diesen einen Fall mit MaKss Damage bei dem Radiosender Kiss FM Berlin. Dort ging es um Patriotismus und die haben schlecht recherchiert, ihn eingeladen für ein Interview und haben ihm total viel Raum gegeben. Und wie Nazis das halt so machen, über die Derailing-Strategie, um zwar nicht wie Nazis zu klingen, aber trotzdem ihre Propaganda-Scheiße zu hinterlassen. Da gab es dann einen ziemlichen Aufschrei. Aber ich hatte schon viel in Workshops mit Jugendlichen zu tun, die rechts-offen waren. Aber niemand, der da wirklich organisiert ist, dem würd ich aber auch kein Forum geben wollen. Aber jemand, der sich nicht klar von Nationalismus, Faschismus, Antisemitismus abgrenzen kann, mit dem rede ich nicht. Sexismus und Homophobie sind nun mal so weit verbreitet, dass ich diese Leute selbstverständlich nicht als Nazis markieren darf. Da muss ich dann einfach anders rangehen.

„Wir müssen Noten abschaffen“

Du thematisierst auf dem Track „Q1“ auch das Superwahljahr in Deutschland. In einem Interview sprichst du von deiner Hoffnung, dass die Parteien links vom sozialdemokratischen Spektrum einen radikal-emanzipatorischen Themenschwerpunkt im Wahlkampf verfolgen. Was meinst du damit genau?
Naja, indem man nicht irgendwie auf Koalitionspartnerschaft abzielt und damit liebäugelt. Und so die Kandidaten vorne ranstellt. Also ein Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg, der mag vielleicht ökologie-politisch noch ein Grüner sein, aber ansonsten ist er sehr CDU-nah und sowas nervt mich natürlich total, wenn ich sehe, dass sich Leute da so verbessern lassen, anstatt zu sagen: ,Ja, Flüchtlingspolitik muss komplett neu diskutiert werden. Armut muss ganz neu diskutiert werden. Hartz4, Sanktionen müssen abgeschafft werden. Beim bedingungslosen Grundeinkommen müssten wir mal nachdenken. Wir müssen Gleichstellungsthemen noch stärker integrieren. Wir müssen Bildungsfragen völlig enthierarchisiert angehen, mit der Frage: Wie geht Bildung?‘ Ich finde, wir müssen zum Beispiel Noten abschaffen. Wir müssen Selbsteinschätzung lernen, statt zu sagen, das war eine 4+ und das eine 2-, ich meine, was mache ich damit? Ich muss doch verstanden habe, ob ich was kann oder nicht. Solche Dinge muss ich lernen und nicht, dass ich eine Zahl entgegennehme, die dann benicke und mich dann entweder darüber freue oder heulen gehe. Einfach so radikale linke Themen wiederfinden, die über die Jahre verloren gegangen sind.

Welche Wahlkampfthemen siehst du noch?
Das Obergrenzen-Thema. In Deutschland, wurde so mit der Türkei gedealt und Geschäfte gemacht, damit die Leute bloß dort bleiben. Da ist es dann natürlich einfach, sich für eine Obergrenze auszusprechen. Aber auch Konzepte von Ehe und Partnerschaft. Die Ehe für alle muss viel stärker erweitert werden. Es muss andere Konzepte geben, die Menschen, die so etwas wie eine Ehe miteinander eingehen, finanziell und im Alltag absichern. Es muss keine Liebespartnerschaft sein. Es könnten auch einfach zwei verwitwete beste Freundinnen heiraten, einfach damit sie dieses Gegenüber haben. Damit sie Dinge wie Steuerfragen, Rente, Auskünfte und Absicherungen bei Krankenhäusern – einfach alles, was in einer Ehe noch mit drinnen steckt – nutzen können. Da geht es nicht nur darum, dass Schwule und Lesben heiraten dürfen, sondern, dass das ganze Konzept von Ehe überarbeitet wird. Das müssen die Linke und die Grünen mehr machen. Das ist mir alles zu lasch. Ich weiß, dass die auch alle den Fraktionszwang haben und ihre Alltagszwänge. Generell ist alles voller Zwang und ihnen sind die Hände gebunden. Nur hab ich totale Schwierigkeiten, dann wählen zu gehen. Ich finde es total wichtig, auch mit Parteipolitik im Dialog zu sein. Es gibt immer wieder Momente, wo ich zusammen mit der Grünen Jugend oder Solid Sachen mache. Ich bin niemand, die Parlamentarismus völlig ablehnt, was ja viele andere aus dem linksradikalen Spektrum tun. Ich finde schon, dass das ein ernst zu nehmendes Gegenüber ist und nicht umsonst sind sie die realpolitisch Agierenden. Aber ich könnte zu diesem Zeitpunkt in keine Partei eintreten. Das ginge einfach nicht, nicht einmal aus strategischen Gründen.

Oder du gründest deine eigene Partei.
Ja das auch noch, genau! Psychiatriekritik, Sexarbeit, was mit Nazikindern, noch eine Partei gründen, dann schreib ich auch gerade noch ein Buch, eigentlich wollte ich moderationstechnisch auch was machen. Meine Wohnung müsste ich auch mal putzen.

Welches Buch schreibst du denn gerade?
Viel kann ich noch nicht darüber reden, ist noch ganz frisch. Aber es gibt einen Verlag in Deutschland, der sich traditionsgemäß mit subkulturellen politischen Themen auseinandersetzt. Dort werde ich zusammen mit einer Co-Autorin – einer Wienerin – endlich einen queer-feministischen Status Quo für Rap und HipHop im deutschsprachigen Raum niederschreiben. Vielleicht auch als Herausgeberin, in Kooperation mit allen möglichen Akteur*innen aus der Szene. Es gab immer wieder Phasen einer subkulturellen politischen Artikulation, die einen bestimmten Schwerpunkt haben und queer-feministischer Rap ist etwas, das jetzt seit ein paar Jahren existiert. Es ist eine eigene Szene geworden und ist auch mein täglich Brot. Ich wüsste einfach voll gerne, dass es in der Welt ein Buch gibt, das hierfür die Grundlage für Weiteres liefert. Ich warte da seit ein paar Jahren drauf und es kommt einfach nicht. Leute schreiben mal hier einen Artikel und da eine Hausarbeit und nochmal einen Blog, auch ein paar Tweets. Aber es gibt nicht so dieses eine Werk. Jetzt reicht’s mir. Jetzt mach ich das selber.

See Also

Willst du das dann wissenschaftlich aufziehen, oder für die breite Masse?
Nein, ganz und gar nicht wissenschaftlich. Ich bin nicht wissenschaftsfeindlich oder so, aber ich will schon, dass es verständlich bleibt. Natürlich auch geschrieben von Leuten, die sich wissenschaftlich damit beschäftigt haben, die Journalist*innen sind, aber auch Leute, die Fans sind, die DJs sind, die produzieren, die selber auf der Bühne stehen. Einfach Leute, die erzählen, wie sie diese Entwicklung beobachten. Wie ihr Blut drinnen steckt, wie sie mit Widersprüchen umgehen. Wie sie andere Ismen für sich thematisieren. Einfach alles, was thematisch da ist, einmal mitzunehmen und das zum Lesen bereitzustellen. Aber es sollen auch nur kurze Texte sein. Ich will keine langen schweren Texte. Nur kurz und knackig, einfach als Basis zum Weiterrecherchieren.

„Früher hieß das noch Studentenrap oder Müslirap, heute zumindest Politrap“

Wie siehst du generell die Entwicklung von politischen und gesellschaftskritischen Rap im deutschsprachigen Raum? In welche Richtung, denkst du, geht das?
Also es ist natürlich jetzt eine super Zeit dafür. Gibt ja viele, einen Fatoni, Zugezogen Maskulin, Antilopen Gang.

Vielleicht auch ein bisschen radikaler, wie Waving the Guns?
Ja also die find ich jetzt nicht so gut. Dieses Antifa-Mackertum nervt mich leider. Aber wir kennen uns auch nicht persönlich! Okay, find sie musikalisch auch nicht so geil, das tut mir leid. Aber auch Neonschwarz. Das ist voll die gute Zeit einfach, für Leute, die Bock haben, sich zu artikulieren. Auch ist es total schön, das zu sehen. Leider gibt’s auch den Moment, dass sich Leute politisch äußern wollen aber das dann einfach in so falsch verstandenem Antikapitalismus, der dann am Ende doch nur Antisemitismus ist, abwandert, und irgendwie so verschwörungs-ideologische Scheiße aufmacht und damit total anschlussfähig ist. Also das gab’s ja auch schon. Zum Beispiel das Fard-Album, „Talion 2“, wo am Ende im Prinzip zur Lynchjustiz aufgerufen wurde. Das ist doch Scheiße, das ist nicht politisch, das ist populistisch. Da gab’s offenbar mal ein Missverständnis, was jetzt politisch sei und was nicht. Aber an sich ist es voll die gute Zeit. Wir haben lange darum gekämpft, dass es so selbstverständlich sein kein. Vor vier, fünf Jahren wär das noch nicht so gegangen.

Siehst du dich darin auch ein bisschen als Pionierin?
Auf jeden Fall als Beteiligte. Pionierin in erster Reihe, naja. Aber ich hab immer gesagt, was ich denke. Natürlich, früher hieß das noch Studentenrap oder Müslirap. Heute heißt das zumindest schon Politrap. Das finde ich schon gut. Plötzlich wird man gefragt, wie man denn die Gesellschaft so sieht. Generell finde ich es aber schon eine recht angenehme Entwicklung. Das ist mein Job und ich bin scheiße dankbar dafür!

Bekommst du auch aus Österreich linksgerichteten und kritischen Rap mit?
Ja, also EsRap ist auf jeden Fall eine Stimme, die ich darin total wichtig finde. Dann glaube ich, dass sich um das DMC-Umfeld einiges tut. Dann das Album von Fatima Moumouni und Yasmo, die haben diese „Gefühle“-EP gemacht. Fand ich auch ziemlich nice, die hat mir sehr gut gefallen. Ich dachte nur so: „Leute, ihr werdet das Ding nicht wirklich „Gefühle“ nennen.“ Aber das ist jetzt alles Wien. Was ist mit Linz und so? Wen empfehlt ihr mir da so?

Auf jeden Fall Def Ill, der hat gerade ein Album rausgebracht. Dort kotzt er sich auf 20 Songs darüber aus, was ihn alles an der Gesellschaft stört. Den Download hat er gegen eine Spende für eine NGO zur Verfügung gestellt.
Hammer. Natürlich wäre mir lieber, wenn es all die Anlässe für politischen Rap nicht gäbe und alle einfach nur weiter Party machen könnten und über sich selber rappen. Aber es ist gerade da und ich glaube auch, dass Kultur einfach das Potenzial hat, zeitdiagnostisch draufzuschauen. Und Kunst auch. Manchmal muss man gar nicht in den Zeitungen und Bibliotheken nachsehen, manchmal reicht es auch, in eine Galerie zu gehen, um zu erfahren, was gerade passiert. Diesen Skill, zu verdichten und zu erfassen, was gerade los ist, das kann Kunst und das kann Kultur. Das finde ich unschätzbar wertvoll und deswegen mach ich das und hab auch noch nie davon abgelassen, obwohl es zu manchen Zeitpunkten uncooler war, sich politisch zu äußern. Ich glaube, es ist die Vereinbarkeit von Entertainment und Analyse oder so. Warum soll das nicht zusammengehen? Es wird immer so auseinander gedacht: Entweder Politik oder Party. Ich finde das aber eine ganz hervorragende Kombination. Das ist irgendwie, weiß ich nicht, Brie mit Himbeermarmelade. Du denkst die zuerst: ,Ist das dein Ernst?‘ Aber nein, voll geil.

Es ist ja auch eine ziemliche Kunst, das kombinieren zu können.
Ja eben. Und je mehr das machen, desto mehr wächst das ganze Genere und Leute lernen aus den Erfahrungen der andren. So kann uns das voranbringen!

Def Ill meinte mir gegenüber im Interview, dass er die Platte fast nicht releasen hätte wollen, weil er sich dachte, was wisse er als weißer heterosexueller Mann schon von Diskriminierung. Und wie könne er sich anmuten, darüber zu rappen.
Jede Stimme ist wichtig! Ich bin keine Vertreterin zu sagen, dass nur Marginalisierte von Marginalisierung sprechen dürfen. Ganz im Gegenteil. Alle, egal, ob privilegiert oder marginalisiert, haben eine Berechtigung, darüber zu reden. Natürlich, kann ich nicht darüber reden, wie sich Rassismus anfühlt, ich habe das in meinem Alltag noch nie erlebt. Aber ich kann darüber sprechen, wie sich Rassismus zeigt. Das ist dann zwar keine betroffenen Perspektive, aber eine Perspektive, die wachrüttelt, das skandalisiert und ablehnt. Und laut überlegt, wie wir das verändern können. Es wäre auch fatal, wenn nur die Betroffenen sich zur Wehr setzen. Wenn nur Refugees selber über Gewalt gegen Refugees sprechen, dann würden sich alle zurücklehnen und sagen: ,Ja, ist doch nicht unser Problem und außerdem bin ich gar nicht berechtigt, was zu tun.‘ Klar, wenn ich jetzt anfange und einer Person of Color erklären würde, wie sich Rassismus anfühlt, dann hätten wir ein Problem. Das wäre wirklich falsch. Aber zu sagen, ich sehe das und ich finde das beschissen, wie kann ich mich mit dir solidarisieren, was kann ich tun, das ist doch genau der richtige Zugang.