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The Message Awards 2022 // Shortlist

The Message Awards 2022 // Shortlist

Das finale Teilnehmer*innenfeld der The Message Awards 2022 nimmt Form an. Nachdem wir im vergangenen Artikel die acht Kategorien inklusive einer Nominierungsliste mit allen Acts/Releases und den Jury-Mitgliedern präsentiert haben, haben wir das Teilnehmer*innenfeld bei Wahlen reduziert. Die jeweils fünf Nominierten, die diese Runde überstehen, haben im Finale die Chance auf einen Message Award. Die Verkündung der Gewinner*innen erfolgt am 25. Februar ab 19 Uhr live im Wiener Brick-15. Eine After-Party und DJ-Sets von u.a. Funkmasta Koal und Phekt runden das Event ab.

Wie schon in den Vorjahren haben mitunter knappe Entscheidungen und Stichwahlen über ein Weiterkommen bestimmt. Dass neuerlich einige Namen trotz starker Releases weggefallen sind, unterstreicht das hohe Qualitätslevel der infrage kommenden Künstler*innen. Wir geben die Nominierten nach Kategorien bekannt. Der Artikel wird laufend aktualisiert und erweitert, bis die Shortlist komplett ist.

Text: Francesca Herr, Simon Huber, Michaela Koffler, Janina Lenz, Hilde Mayer, Simon Nowak, Daniel Shaked

Rap-Album des Jahres

Def Ill – Side A

Ohne große Vorankündigung hat Def Ill Ende 2022 das Album „Side A“ veröffentlicht. Das Album geht mit einer gezielten Neuorientierung einher. Basierend auf Boombap- und Drumlessbeats, die abgesehen von einer Produktion von Minimal Bill von ihm selbst stammen, hat sich der lyrische Zugang verändert. Def Ill möchte sich von Teilen seiner künstlerischen Vergangenheit distanzieren, teilt in Lines nicht nur gegen sexistische Rapper, Mechanismen hinter rechtspopulistischen Strömungen und weitere gesellschaftliche Phänomene, sondern auch vermehrt gegen sich selbst aus. Ein ehrliches, selbstkritisches Album mit einigen Highlights – darunter auch die Huckey-Hommage „HUCKEYMADEMEDOIT“.

Kamp & Fid Mella – 2urück 0hne 2ukunft

Nach „Versager Ohne Zukunft“, damals im Track „Der Anfang vom Ende“ als „erstes und letztes Album“ bezeichnet, schien die Reise zu Ende zu gehen. Der exzessive Lifestyle hatte Kamp ausgelaugt, sein Leben war aus den Rudern gelaufen, ein klarer Schnitt aus Alkoholismus und Dauerselbstbemitleidung wohl notwendig. Von außen schien es überraschend, dass Kamp 2022 dann auf einmal wieder da war, den Nachfolger seines Klassikers releaste. Doch die Vorlaufzeit war lange, über die Jahre war der Wiener Rapper mal mehr, mal weniger mit Fid Mella im Studio, feilte an Tracks und ließ sie reifen. Ein Streifzug durch das in den vergangenen Jahren Erlebte und Verarbeitete, gewohnt bildhaft getextet, mit Wortspielen, Seelenstrips und Selbstreferenzen ausgeschmückt. Kamp ist erwachsener, sein Leben gewöhnlicher geworden, doch in den Tracks gibt es wieder viel zu entdecken – mehrmalige Durchläufe lohnen sich. Die samplebasierten Beats von Fid Mella liefern den passenden Soundteppich.

Kitana – Lorbeeren

Ebenfalls eine lange Vorlaufzeit hatte Kitanas Debütalbum „Lorbeeren“ – dass sich die in Wien lebende Rapperin künstlerisch gefunden hat, zeigen die 12 von Melik und Fuzl produzierten Tracks. Die Leidenschaft für gediegene Raptechnik und -lyrik begleitet Kitana schon viele Jahre. Flows, Rhymes, Storytelling, Punchlines, Wortspiele und Vergleiche sind ausgefeilt, der Style und ihr Auftrteten sind markant und eigenständig. Inhaltlich nimmt Kitana auf den düsteren Tracks viel Bezug auf ihren Lebens- und Karriereweg. Szenische Auszüge beinhalten Kapitel wie die Familienfluchtgeschichte im Balkankrieg, die Jugend in Kärnten, die Drogenvergangenheit, das Gefangensein in schlechten Kreisen und die entstandene Hassliebe zu Wien. Kurzweilig, prägnant, mit Hand und Fuß. Ein sehr gelungenes Album, das ohne Überlänge und Filler-Tracks auskommt und ein gutes Durchhör-Erlebnis bietet.

Von Seiten der Gemeinde – Almen aus Plastik

Der Albumtitel des Jahres ist Von Seiten der Gemeinde – beziehungsweise Titelerfinder Worst Messiah – sicher. Auch die Tracks des Mundarttrios stehen für sich. Moderner Sound, regionale Samples und Raps, die inhaltliche Parallelen zum vierten Teil des Satirefilms „Die Piefke Saga“ aufweisen. Dort stellt sich heraus, dass das für den Tourismus auf „Heile Welt“ rausgeputzte Tirol auf Müll gebaut ist, die Bäume und Tiere aus Plastik sind. Unterhaltsam, überspitzt und mit viel Augenzwinkern greift Rapper Yo!Zepp diverse Themen mit Tirol-Bezug auf. Sei es der der omnipräsente Massentourismus und seine Folgen für die Menschen und die Umwelt, der Umgang mit der Pandemie in Ischgl oder die Wolfsdebatte. Daneben rappt er über ubiquitärere Themen wie Selbstverherrlichung, Zuwanderung und Vergänglichkeit. Ein fantastisches Album, das auch außerhalb Tirols gut verstanden werden kann.

Yugo – Das Album, das schon 2020 erscheinen sollte

Turbulent ist ein Wort, das das Laben und Schaffen von Yugo der vergangenen Jahre zusammenfassen könnte. Der nach dem 2018 erschienenen Album „Yugo“ unterschriebene Plattenvertrag beim deutschen Label Division erwies sich als Fehlentscheidung, Yugo konnte dem Druck, Hits zu liefern, nicht gerecht werden. Die psychische Belastung nahm ihm den Spaß am Musik machen, Yugo fiel in ein Loch. Doch nun ist er wieder frei, die Lockerheit scheint langsam wieder zurückzukehren. Auf dem 2022 erschienenen Album drehen sich einige ernste, selbstreflexive Lines wie auf „Raus“ um diese Geschichte. Doch Yugo hat nicht „nur“ das zu erzählen. Auf „Nicht von hier“ beschreibt er ungeschönt die Situation vieler Migrantenkids – mehr dazu in der Awards-Kategorie „Message des Jahres“. Auf „Milan“ verarbeitet er den Tod eines Familienmitglieds. Den Kontrast bilden Tracks wie das betont arrogante „Pretty Mf“ und hedonistische Uptempo-Nummern wie „GL+3“ mit Feature von Verifiziert.

Message des Jahres

Def Ill – Mei Nochbar

Def Ill ist inzwischen Dauergast in der Message-Kategorie. Zu Recht. Während hier
viele Tracks stehen könnten, ist uns in diesem Jahr vor allem „Mei Nochbar“ in Erinnerung geblieben. Eingebettet in das wohl tragendste politische Ereignis, dem Krieg in der Ukraine und der damit einhergehenden Propaganda Putin, erzählt
der Track von erster „alltagstauglicher“ Islamophobie, über zunehmende Radikalisierung bis hin zur tiefen Verstrickung in Verschwörungstheorien und -mythen. Was viele über Monate und Jahre beobachten mussten, sei es im Bekanntenkreis oder in der eigenen Familie, bricht Def Ill in knappen fünf Minuten runter und könnte es, wieder einmal, nicht treffender auf den Punkt bringen.

KeKe – Intro

Vor zwei Jahren hätten wir nicht damit gerechnet, dass es so lange still sein würde um KeKe. Bis Mitte 2022 mit „Intro“ ein Comeback erscheint, das nicht mehr Nachdruck haben könnte. Ruhig, aber mit reichlich Stärke in der Stimme, erklärt Keke auch warum: Auf Ruhm und Erfolg folgten Belastung und schwerere psychische Probleme. Keke zeichnet aber nicht nur die eigene Realität nach, vor allem sind es Lines wie „wenn ihr eine struggelnde Person nicht schützt, könnt ihr euren Job nicht machen“, die sich einprägen. Das ist unser gesellschaftlicher Umgang mit psychischer Gesundheit. Solange Therapieplätzen noch mehrere Monate Wartezeit vorausgehen, bei Weitem nicht für alle leistbar sind, Mental Health als Trend abgetan wird und Betroffene selbst für die eigenen Situation verantwortlich gemacht werden, braucht es Intros wie dieses. Auf EPs, Alben und vor allen in Form von gesellschaftlichen Debatten.

Kerosin95 – Trans Agenda Dynastie

2022 war auch ein Jahr, in dem transfeindliche Inhalte weiterhin unreflektiert aufgegriffen und von öffentlich Personen oft angefacht wurden. Während queere Themen im Rap schon rar sind, findet man trans-Themen oft überhaupt erst in der einschlägigen Bubble wieder. Kerosin95 zählt seit langem zu den stärksten Stimmen ebenjener Bubble und ist schließlich auch ein Grund, warum wir auch außerhalb davon Wind bekommen.

Zwar kam im Dezember über Social Media die Ankündigung, dass das Projekt Kerosin95 aus gesundheitlichen Gründen vorerst auf Eis gelegt wird, das macht die Botschaft dahinter und die Gründe zur Nominierung in der Shortlist „Message des Jahres“ aber nicht weniger relevant. „Trans Agenda Dynastie“ ist als Track und EP eine Hymne und begleitet künftig hoffentlich vor allem Cis-Personen dabei, laut zu sein und die Kämpfe nicht nur jenen zu überlassen, die davon betroffen sind.

Schmusechor versus Yung Hurn bei den Wiener Festwochen

Womit? Ja mit Recht schlug es Wellen, als der Schmusechor die Anfrage, bei den Wiener Festwochen zu eröffnen, ablehnte, weil dies eine gemeinsame Bühne mit einem Artist bedeutete, der ein zutiefst frauenverachtendes Bild transportiert und in Zusammenhang mit r*pe-Fantasien steht. Seit Jahren kochen Diskussionen zur gesellschaftlichen Verantwortung beim Booking von Festivals hoch. Die Frage, welchen Artists man aufgrund von feindlichen und sexistischen Texten überhaupt noch Raum und Bühne geben sollte, wird zumeist aber schnell wieder erstickt. Etwas, womit wir uns in der The Message-Redaktion immer wieder beschäftigen: Können wir zwischen Kunst und Kunstfigur trennen? Wo ziehen wir die redaktionelle Grenze? Bei einem Genre, wo Misogynie, Rassismus, Antisemitismus und Queerfeindlichkeit leichtfertig einem Stilmittel gleichgesetzt werden (Spoiler: they are not), ist das nicht nur eine zache Diskussion, sondern eine, die wir immer wieder führen müssen.
Honorable Mention an dieser Stelle: Das im Zuge dessen entstandene Interview mit Ana Ryue im Falter.

Yugo – Nicht von hier

Yugo hat schon mehrmals mit gefühlvollen und ehrlichen Tracks überrascht, aber „Nicht von hier“ geht anders unter die Haut. Während auch im letzten Jahr dem Vorschlag, die Barrieren für die Staatsbürgerschaft zu senken, noch Diskussionen über härtere Abschiebungen folgen, beschreibt Yugo Zeile für Zeile, dass eine*n auch der Pass nicht plötzlich zur*zum Österreicher*in macht. Hier aufgewachsen, aber als Kind von Ausländern ständig als ebensolcher eingeordnet und behandelt, beschreibt er die eigenen Versuche bloß nicht aufzufallen, aber mit dem „typisch“ Österreichischem nichts anfangen zu können. Was 2017 triumphierend „du bist Österreich, ich bin Öster-reicher“ schallte, ist fünf Jahre später leider noch „ich brauch mehr als’n Pass ja / Weil’s einfach nicht reicht wenn ich mich anpass’“.

Producer des Jahres

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Brenk Sinatra

Wie schon in den vergangenen beiden Jahren hat es Brenk Sinatra verdient in die Endauswahl geschafft. Der letztjährige Gewinner konnte 2022 mit dem Finale seiner „Gumbo„-Reihe, Produktionen für den deutschen Rapper Tom Hengst („Spiel des Lebens“) und Artists aus seinem Camp Wave Planet überzeugen.

Fid Mella

Auch Fid Mella ist nicht zum ersten Mal unter den Top 5 gelandet. 2022 war für ihn ein weiteres produktives Jahr, in dem neben seinen Alben mit Kamp („2urück ohne 2ukunft“), Giani („Moodwaves“) und dem Silk Mob („New Silk“) ganz nebenbei auch noch sein Soloprojekt, das Producer-Album „Hella Mella Vol. 1“ erschienen ist.

Hardy X

Seit HARDY X vor einigen Jahren von Wien nach Berlin gegangen ist, hat sich in seinem Portfolio einiges getan. Er schreibt Texte und produziert Beats nach wie vor für einige österreichische Acts wie Kitana, jōshy oder YUGO, vermehrt jedoch auch in Deutschland, wo im letzten Jahr besonders seine Zusammenarbeiten mit Nina Chuba, Haiyti oder Lostboi Lino herausragen.

Melik

Melik steht sinnbildlich für den frischen Sound einer neuen Generation an Wiener Rapper*innen. Mit „Lorbeeren“ von Kitana, das er abseits von zwei Fuzl-Beats produziert hat, war er mitverantworlich für einen heißen Anwärter auf das Album des Jahres.

Nik Dean

Fast unbemerkt von der breiten österreichischen Öffentlichkeit produziert Nik Dean seit einigen Jahren vor allem im US-amerikanischen Raum, wo er mit seinen Beats für Tracks von Gunna, Tory Lanez, YG und vielen mehr mittlerweile mehrfache Gold- und Platinauszeichnungen vorweisen kann und sogar auf Platz 10 der Billboard-Producer-Charts landen konnte.

Future Sound des Jahres

Auch heuer bietet die Erweiterungskategorie einige bekannte wie neue Gesichter und einige bekannte Namen in möglicher Weise neuen Soundwelten. Hier gilt es, die Grenzen des Genres hinter sich zu lassen, die Verbindung zum HipHop aber nicht ganz zu verlieren.

Cid Rim – Songs For Vienna

Im Vorjahr bereits mit dem Album „Songs from Vienna“ nominiert, überzeugte der Wiener Clemens Bacher aka Cid Rim wie auch schon am Sockelwerk. Eigentlich Schlagzeuger, beweist der auf seinem Wien Album-Split (Songs of Vienna, Songs from Vienna), was für ein Musiker von internationalem Rang hier am Werk ist. Top Songwriting, treibende Grooves und als ob das nicht reichen würde, versieht er die Tracks mit eigenen Vocals. Gefeierte Gigs in London, der Homebase seines Labels LuckyMe, und zum Drüberstreuen hat es ein Song einfach mal so in die Apple-Werbung geschafft.

Dorian Concept What We Do For Others

Das „Bedroom Producer Wunderkind“ aus Wien ist teil der Generation Myspace-Producer. Über Youtube-Videos erspielte er sich mehr oder weniger über Nacht Fans bis in die höchsten Kreise der Musikwelt. Es folgen international gefeierte Alben und Konzerte überall Kategorie „Weltberühmt in Österreich“. Dorian Concept brilliert auf seinem zuletzt erschienenen Album „What We Do For Others“ und zeigt Tracks voller Witz und Innovation. Die Basis nicht verlieren, aber sich nicht mit dem Status Quo zufrieden geben, das gleiche Rezept neu erfinden. Die Abzweigung nehmen, die andere vielleicht nicht nehmen wollen, sich nicht trauen. Dabei aber nie den Soul und Groove verlieren. Nicht umsonst ist dieses Album vergangenen Oktober auf Flying Flotus‘ Label Brainfeeder erschienen.

Elis Noa I Was Just About To Leave

Das Duo Elis Noa lieferte 2022 mit „I Was Just About To Leave“ einen Nachfolger zu „What Do You Desire“. Nachfolger aber nur im chronologischen Sinn. Denn mit dem aktuellen Release zeigen sie eine Weiterentwicklung. So war der Vorgänger noch eine musikalische wie emotionale Hochschaubahn der Gefühle, geprägt vom Verarbeiten einer Trennung oder gefühl sogar mitten drinnen. Das aktuelle Album zeigt sich in allen Belangen erwachsener und reifer, in sich geschlossener. Und das ist schon eine Leistung, war doch bereits das Debütalbum ein ausgesprochen stimminges Release. Tracks wie Animal oder Focus oder Mad About You sind schlichtweg überragend. Top-Songwriting geht Hand in Hand mit den Arrangements mit viel Gefühl und Zerbrechlichkeit. Elisa Godinos Stimme wird nie fad, zieht sofort in den Bann. Dazu liefern die maßgeschneiderten Produktionen ideale Untermalungen, tragen die Lyrics und könnten so auf Klassikern des Neo-Soul erscheinen. Internationales Top-Niveau.


Faces & Mirac Dependence

Mirac, der sich für die Produktionen des Albums mit Faces verantwortlich zeichnet, steht fast exemplarisch für die Grundausrichtung dieser Kategorie. Als MC aus dem HipHop der 00er und 10er-Jahre kommend, entwickelte er sich als Produzent laufend weiter. Jetzt legen seine Produktionen den musikalischen Unterbau für ein Album, das sein eigenes Tempo hat. Die soundtechnische Entwicklung von Mirac ist bemerkenswert. „Dependence“ klingt nach ganz großen Releases und braucht das Licht nicht zu scheuen. Referenzen zu R’n’B-Nummern der späten 90er und frühen 2000er finden sich über das Album verteilt, ohne gewollt zu wirken – ganz im Gegenteil. Songs wie „Milky Sea“ sind voller wunderbarer Wendungen. In Kombination mit leichtfüßigen, perfekt temperierten Vocals von Faces und ist dieses Album ein wahres Feuerwerk.

Wandl Body Memory

Fast sowas wie ein Fixgast in dieser Kategorie ist Multiinstrumentalist und Vokalist Wandl. Wie die Releases der vergangenen Jahre besticht auch sein jüngstes Album „Body Memory“ mit gefühlvollen, sphärischen Tracks. Unzählige Features, etwa von Torky Tork und Lex Lugner, machen es besonders. Songs wie „Break Down (The Feeling)“ oder „Over You“ strahlen eine Souveränität und Klasse aus, die wenige jemals erreichen. Seine Soundwelt besticht durch Wärme etwas unvergleichlich Ehrliches und Melancholisches haftet seinen Produktionen und dem Gesang an, ziehen einen mit dem ersten Ton in den Bann. Die Tracks sind tief in Soul getränkt. Ein Sound, der allen internationalen Qualitätskriterien standhält. Leicht und zeitlos. Wandl ist ein musikalisches Genie, ohne wenn und aber.

Act des Jahres

Brown-Eyes White Boy

Im Alter von gerade einmal zwölf Jahren brachte 2015 Brown-Eyes White Boy – damals noch als Gr1mer – sein erstes Album „Gr1my Shyt“ heraus, bald darauf folgte ein Trettmann-Feature. Zahlreiche Releases begleiteten den Salzburger durch seine Pubertät und Adoleszenz. Eine Zeit voller Höhen und Tiefen. Mittlerweile in Wien stationiert, ist Brown-Eyes White Boy heute in fester Bestandteil der New Wave an österreichischen Rappern, die auch im Deutschrapkontext eine Rolle spielen. Im Vorjahr stach Brown-Eyes White Boy besonders hervor – nicht zuletzt dank des Albums „Graue Bündel“ auf Beats von food for thought und zahlreicher weiterer Singles.

Def Ill/Ruffian Rugged

Nicht erst seit 2022 ist Def Ill ein Rapper, der sich ständig weiterentwickeln will und auf vielen Hochzeiten gleichzeitig tanzt. Sein Output war vergangenes Jahr gewohnt hoch, vielseitig und qualitativ ansprechend. Gleichermaßen auf Deutsch als Def Ill mit dem Album „Side A“ sowie der mit Fate & strange erschienenen „Zeitgeist Chroniken„-EP wie auf Englisch/Patois als Ruffian Rugged mit dem Album „Let Them Eate Brioche„. Und dann wären da noch seine Skills als Chopper-Rapper: Kürzlich erhielt der Linzer eine Auszeichnung als viertschnellster Rapper weltweit mit „Mocca„. 20,77 Silben pro Sekunde sind die jüngste Ansage des Ausnahmekünstlers.

Kamp

Das Comeback des Jahres ist Kamp sicher – sorry Whizz! 13 Jahre nach seinem Klassiker-Debütalbum „Versager Ohne Zukunft“ lieferte er einen würdigen Nachfolger. Kamp ist „2urück 0hne 2ukunft“ und hat erwachsenere Geschichten aus seinem Leben auf Lager. Vom notorischen Zuaschädl zum Schuhverkäufer und Bürohengst, der mit beiden Beinen im Leben steht. Mit seinem bildhaften Schreibstil, Wortspielen, unvergleichlichen Seelenstrips und Selbstreferenzen ist er ein Unikat im deutschsprachigen Rapgeschehen. Das mit Fid Mella entstandene Album konnte er in einem ausverkauften Flex gebührend live präsentieren. Auch auf Features ist Kamp nach seiner langen Abstinenz wieder präsent – etwa mit jōshy & JerMc oder mit Audio88. Schön, dass er wieder da ist.

Kitana

Als Mittzwanzigerin hat Kitana schon viel erlebt – in und abseits der Musikwelt. Nun möchte die Gewinnerin des The Message Newcomer-Awards 2021 ihre Lorbeeren ernten, wie ihr gleichnamiges Debütalbum untermauert. Die in Wien lebende Rapperin präsentierte sich 2022 vielseitig und raptechnisch ausgefeilt. Storytelling, persönliche Geschichten, Punchlines und ein markanter Style. Kitana hat sich zu Recht einen Namen gemacht – nicht nur durch das Album, sondern auch durch Singles wie „Block“, „Viel/Runnin“ mit Beloskoni oder das Feature „Original“ mit Timey.

Roko von der Tanke

Zu Beginn ausschließlich im Duo mit seinem Weggefährten O.T., mittlerweile auch vermehrt als Soloartist, hat Roko von der Tanke eine steile Entwicklung hinter sich. Der Tankensound floriert. Vergangenes Jahr droppte Roko die EPs „Oblak“ und “Kiša” (Anm. mehr dazu weiter unten bei „Rap-EP des Jahres“), die weitere Duftmarken hinterlassen haben. Mit Style, Flow und einer gesunden Lowlife-Attitude, die teilweise bisschen an Berliner Untergrund erinnern mag. Neben den eigenen Releases produzierte er auch O.T.s EP „Sikiş Flow“. Dass Roko auf dem aufsteigenden Ast ist, zeigte sich vergangenes Jahr etwa auch bei den The Message Awards – nur hauchdünn ist er an einem Award-Gewinn vorbeigeschrammt. Aber das ist Schnee von gestern. Nur ein Jahr später hat sich Roko einen Platz auf der Act-Shortlist verdient.

See Also

Newcomer des Jahres

Amoa

Viel releast hat Amoa zwar noch nicht, seine Ende 2022 erschienene Debüt-EP “Rap Kung Fu” war dafür ein großes musikalisches Ausrufezeichen. Fünf starke Tracks, die zeigen, dass er nicht erst seit gestern rappt und seine Skills lange gereift sind. Mit düsterem Sound, szenischen Lines, viel Vogelperspektive und persönlichen Texten liefert der Rapper aus Wien-Breitenlee eine stimmige Kombination. Das Randbezirksleben hat Amoa hörbar geprägt, Rap und Kampfsport ihm die nötige Kanalisation der Wut gegeben. Dass Amoa auch für mehr P.O.C.-Empowerment von Wiener Rappern einstehen möchte, deutet „Wade in The Water“ historisch und faktisch unterlegt an. Ein Rapper, der Skills, Message, Style und Persönlichkeit vereint.

Bouncy

Bouncy klingen nicht nur sein Name und das 2022 releaste Debüt-Mixtape, sondern auch die Beats. Vor einiger Zeit primär als Produzent begonnen, möchte der junge Wiener nun als Rap-Artist durchstarten – mit Unterstützung seines Umfelds, dem „Bouncy Mob“ und Akashic Rekordz. Clubtauglicher Drill-Sound, markante Titel wie „Abella Danger“, „Shaniqua“ und „Tom & Jerry“ zeichneten die „Bouncy Tunes Vol. 1“ aus und sicherten dem Rapper einen Platz in unseren Playlists und auf der Newcomer-Shortlist. Ein vielversprechender Artist, der im WNMR-Interview für 2023 ein zweites Solotape, ein Projekt mit Slav und teils große internationale Features angekündigt hat. Und, dass es künftig auch abseits des Drill-Sounds viel von ihm zu hören geben soll.

crapjony

Wenig Interesse am Mainstream-Einheitsbrei hat crapjony. Das zeigte der Wiener Künstler vergangenes Jahr mit seiner Debüt-EP „Rebel Kid“ eindrücklich. Metal-Riffs treffen auf Drill-Hi-Hats, sanfte Akkorde und Jungle-Klänge, produziert von Vienca. Ein eigenständiger Sound- und Genremix, bei dem eine schlichte Reduktion auf Trap-Metal-Einflüsse zu kurz greifen würde. Inhaltlich bewegt sich crapjony oft zwischen Herzschmerz, Selbsttherapie-Ansätzen und Scheiß-drauf-Attitüde. Er sorgt für frischen Wind und hat als Teil von Mom I Made it ein geeignetes Umfeld für die Umsetzung weiterer künstlerischer Schritte.

DaveGrazWest

„Sprechgesang von westlich der Mur“, lautet die Selbstbeschreibung des Rappers, der sich passend dazu DaveGrazWest nennt. Er ist Teil der Crew 020 Athletics, der auch Babyface, Decca und Produzent grapejce angehören. Rap- und Soundtechnisch auf ordentlichem Level, war DaveGrazWest 2022 besonders aktiv. Neben Parts auf dem Crewsampler „erster Schnee“ hat er mit Babyface das Mixtape „Tunnelblick“ sowie solo das Mixtape „Programm“ releast. Im Themenreichtum ausbaufähig, aber oft sehr unterhaltsam, steht er für proletigen, exzessfreudigen Lifestylerap. Die Orientierung an Berliner-Underground-Acts wie Teuterekordz, Saftboys und Co ist nicht von der Hand zu weisen, dank Tracks wie „Espresso“ mit prominentem Ambros-Sample kommt auch die lokale Note nicht zu kurz.

FEDX

In kurzer Zeit hat FEDX mit Newkid-Ästhetik und klamaukigen Videos eine enorme Reichweite aufgebaut. Die Rede ist von seinem TikTok-Kanal, dem über 120.000 Leute folgen. Parallel setzt sich der Grazer als Rapper auf die Karte, die Charts sind das erklärte Ziel. Nach Eigenaussage musikalisch geprägt durch Herbert Grönemeyer, Falco, Flavio und Genetikk, mag der erst seit wenigen Jahren rappende FEDX stilistisch in der Ausprobierphase sein. Wobei die 2022 erschienenen Singles sowie EPs „Bumm Bumm Bang Bang“ und „Lektion.1“ schon einiges an Format haben. Moderner, teils tanzbarer, teils drilliger Sound trifft auf gerappte und gesungene Geschichten aus seinem bewegten Leben – zwischen dem Drogensumpf, einem bekämpften Tumor, verlorenen Freunden, geschöpfter Kraft und geweckten Ambitionen. Ein spannender Künstler, von dem auch 2023 einiges zu erwarten ist.

Rap-EP des Jahres

Al Pone – Balkanski

Mit “Balkanski” lässt Al Pone Technikgeflexe und Battlerap-Ansprüche zurück und zeigt stattdessen seine persönliche Seite. Skills und wichtige Aussagen müssen sich dabei nicht ausschließen. Struggles mit Depression und Spielsucht, Probleme mit der Polizei und falschen Freunden, aber auch seine bosnischen Wurzeln finden Platz auf der EP. Dabei wird entspannt zwischen Deutsch und Bosnisch geswitcht. Trotz der Ehrlichkeit dringt Selbstironie und eine gewisse Leichtfertigkeit durch. Raki und Ćevape dürfen auf einer Balkanski-EP keinesfalls zu kurz kommen und auch die balkanlastigen Sample-Beats, produziert von 4Tact, passen ins Bild.

Kinetical & P.tah – Actuate

Wo Kinetical & P.tah sprachlich auseinander gehen, finden sie sich inhaltlich und bei der Vorliebe für UK-Bass-Sounds wieder. Auf “Actuate” stellen die beiden zwischen Grime-, Drill- und Trap-Beats wiederholt ihre Skills unter Beweis. Zeilen über die Fam, Outputzwang und die Struggles im Rapgame ziehen sich durch die EP. Ein 9-to-5-Alltag geht sich bei den beiden zwischen Musik und Arbeit nicht mehr aus, viel eher pendeln sie irgendwo zwischen 6 bis 6 und 24/7. In gewohnt komplexen Reimen und subtilen Messages finden auch gesellschaftskritische Zeilen ihren Platz.

MDK & B. Visible – Ignoranz

Wenn die 40-Stunden-Arbeitswoche nicht reicht, man 24/7 funktionieren muss und sich währenddessen das eigene Umfeld in Routine verliert, nutzt MDK die Musik als Ventil und hält der Gesellschaft den Spiegel vor. Auf “Ignoranz” rappt er über die Probleme der Leistungsgesellschaft, die Illusion der idyllischen Provinz und über die Selbstinszenierung im Musikbusiness. Die Kritik kommt teils frei von der Seele, direkt und emotional, teilsa zwischen den Zeilen durch. Dabei kommt einem ein Sound entgegen, den man so in der österreichischen Rapszene noch nicht gehört hat. Beats, die sich gewollt von der Masse abheben, produziert von B.Visible, untermauern MDKs gewohnt reflektierte Texte.

Roko von der Tanke – Kiša

Es ziehen förmlich Wolken auf, wenn Roko von der Tanke zwischen Rausch und Adrenalin vom Leben erzählt. Nur Ott und Geld bleiben bunt. Auf “Kiša” gibt sich der Trauner Rapper gewohnt düster – nicht nur durch die eigenproduzierten Beats, sondern auch durch die Texte, in denen er frei von der Seele rappt. Von Struggles mit den Cops bis hin zur ewigen Odyssee in den eigenen vier Wänden. Alles ohne Künstlichkeit, sondern ehrlich und direkt. Trotz der Attitude werden die Lines keinesfalls nur rausgehaut, die Tracks wirken durchdacht, die Worte gut platziert. Eingängige Hooks vollenden den charakteristischen Tankensound und machen die EP zu einem rap- und soundtechnisch stark umgesetzten Projekt.

Young Krillin & Mosch – Ziemlich basede Freunde

Wortspiel und Referenz finden sich schon im Titel der “Ziemlich basede Freunde”-EP von Young Krillin & Mosch. Eine jahrelange Freundschaft der Rapper machte es naheliegend, an einer gemeinsamen EP zu arbeiten. Durch die Vertrautheit zeigen sich beide erstmals sehr persönlich, was die Tracks inhaltlich ernster macht, als es der humorvolle Titel vermuten lässt. Es sind Zeilen über den Bosnienkrieg und über die eigenen Erfahrungen mit Depressionen und Substanzen, die sich von den entspannteren Tracks abheben. Auch soundtechnisch wird mit Referenzen gespielt und mit passenden Samples gearbeitet. Eine EP, die von gegenseitiger Inspiration lebt – über Kollektiv-, Label- und Ortsgrenzen hinaus.

Instrumentalrelease des Jahres

  • Minimal Bii by Lusona

B.Visible – In Between Places

Mit „In Between Places“ ist B.Visible ein starkes zweites Album gelungen, das eindrucksvoll die Kreativität des Produzenten widerspiegelt. Obwohl oder gerade weil er selbst dazu sagt, mehr Gefühl und weniger Kopf in die Produktion gesteckt zu haben, klingen die Beats vielschichtig, ohne Überladen zu wirken und lassen viele musikalische Einflüsse erkennen.

Brenk Sinatra – Gumbo III

Mit „Gumbo III“ bekommt die 2008 begonnene und 2011 fortgesetzte Trilogie von Brenk Sinatra ihren langersehnten Abschluss. Man möchte gar nicht wissen, wie viele unverwendete Beats auf diversen Festplatten des Kaisermühlers herumliegen. Für seine „Gorilla Diaries“, so der Zusatzname des Albums, hat Brenk 20 Beats aus den Jahren 2012 bis 2016 aus den Katakomben geholt und darauf geachtet, den musikalischen Spirit der Instrumentals unverändert zu lassen und den Sound nicht zu modernisieren.

Jules Hiero – Kleoniki’s Kitchen

„Kleoniki’s Kitchen“ ist das dritte Album von Jules Hiero, bei dem fast alle Tracks mit der Unterstützung von internationalen Instrumentalisten entstanden sind, darunter mit Antonio NevesEd Santana und Gus Levy prominente Vertreter der jungen Musikszene Rio de Janeiros. Der Albumtitel bezieht sich auf die teils griechischen Wurzeln des in Wien lebenden Produzenten – und ist im Speziellen der Küche von Jules‘ Großmutter gewidmet, deren Halva mit einem Tracktitel besonders hervorhoben sind. Obwohl es nur ein Ausschnitt seines musikalischen Schaffens ist, vereint das Album eine außerordentliche Bandbreite an Regionen und musikalischen Einflüssen, die Jules Hiero mitprägen.

Minimal Bill – Last Moment

Nach längerer Schaffenspause ist der Linzer Rapper und Produzent BauXL, der in den 00er-Jahren im Dunstkreis diverser Crews in Erscheinung getreten ist, zurück. Unter dem Namen Minimal Bill ist Ende Oktober sein erstes rein instrumentales Werk erschienen. Seine Vorlieben für Wortspiele, Zweideutigkeiten und Konzepte sind auch ohne Worte geblieben. Düstere Stimmung, knisternde Samples und auf ein Minimum reduzierter Einsatz von Drums und Percussions bilden das Fundament – eine zeitgenössischen Interpretation von HipHop-Beats, mit denen sich Minimal Bill nicht vor US-Produzenten verstecken braucht.

Whizz Vienna – The Souloist

Ein weiteres unerwartetes Comeback gab es von Produzenten Whizz Vienna. Bereits 2020 sind die Beats, die nun auf „The Souloist“ zu hören sind, eher zufällig wieder aufgetaucht und wurden vom Darmstädter Label Dedicate wieder ans Tageslicht geholt. Mit „D.A.V.E.V.A.“ ist auch ein Kamp-Feature auf dem damals rein instrumental belassenen VOZ-Outro zu hören und auch sonst ist es ein rundum gelungenes Album. Es bietet Whizz‘ zeitlosen Trademarksound mit Samples aus Jazz, Soul und Funk.